Nachruf auf Dietmar Pflegerl

Im Suchen bleiben...

Dietmar Pflegerl war ein außerordentlicher Theaterdirektor. Kaum vorstellbar, dass ihm das in dieser abgelegenen Provinzstadt K. in dieser selbstgenügsamen Provinz K. gelingen konnte. Wo doch seit jeher nur jene Künstler Aufmerksamkeit bekommen haben, die sie verlassen haben, ihr verbittert und verstört den Rücken gekehrt haben. Nein, er hat es tatsächlich geschafft, seinen „Weg ins Freie“ dort, mitten drin, im Auge des Taifuns, zu finden. Es war ohne Rückfahrschein, als er damals, vor mehr als eineinhalb Jahrzehnten, seine Reise nach Klagenfurt antrat. Mir erschien das bei unserem ersten Treffen und seiner Einladung, ihn dabei zu begleiten, selbstverständlich total undenkbar – zurück nach K. – NO WAY! Nur seiner Beharrlichkeit und Begeisterungsfähigkeit ist es zu verdanken, dass es doch eine sehr lange und intensive gemeinsame Reise geworden ist. Und jetzt, rückblickend, wird mir klar, dass es für ihn tatsächlich immer eine stetige Bewegung, ein Fortschreiten war, obwohl er seine geographische Position nicht mehr wirklich verändert hat. Er war ein lernender und wacher Mensch, der sich geradezu augenblicklich immer weiter entwickeln wollte und bei dem ich selten den berühmten sehnsüchtigen Blick zurück erlebt habe. Diese sentiment-lose Energie, sein „Sich stellen“, sein Eintreten für Wahrhaftigkeit ohne auf eine Rückversicherung zu achten, das haben ihm die Menschen geglaubt und ihn dafür geliebt. Wenn dies die Rolle eines Theatermachers ist – und ich bin sicher dass sie das ist – dann war er auch darin ein großer Theatermacher. Ich habe das immer aus der Distanz beobachtet und muss nun, nachdenkend über ihn, erkennen, wie wichtig und prägend diese Erfahrung auch für mich war.
Und staunend habe ich ihn auf seiner anderen, letzten „Reise“ erlebt. Wenn Kunst, ähnlich der Philosophie, eine Art des Nachdenkens über den Tod ist, ist er uns wieder exemplarisch einen Weg in die Düsternis und Unerklärlichkeit des Seins vorausgegangen. Da, wo keiner weiter weiß, hat auch er gesucht, große Schmerzen durchlitten, gehadert und gezittert – gar nicht heldenhaft, sondern schwach, gebrechlich, aufgedunsen. In diesem sehr menschlichen Suchen hat sich klar wieder eine Dimension eingestellt, die an sein ganzes Leben anknüpfte. Er hatte eine Möglichkeit gefunden, seinen Blick nach vorne sogar in der letzten aller Stunden zu halten, die Reise nicht zu unterbrechen, ja, uns geradezu aufgefordert, in dieser Richtung weiterzugehen. Don Giovanni verbrennt am Ende nicht in der Hölle, sondern er verglüht in unermesslicher Energie. Wir bleiben übrig, ratlos, ortlos, traurig, wie die Menschen im ungeliebten Schluss-Sextett der Oper. Wir spüren, dass der Tod aus der Deckung kommt, dass er sich unendlich langsam auf den Weg auch in unsere Richtung macht. Dass wir einen verloren haben, der mehr wusste, der schon weiter war... Und der uns in seiner Suche doch geblieben ist. Dietmar Pflegerl hat dieses Finale so nie inszeniert. Er hat es gelebt.